Herbstlied

 

Herbstlied


Lange war und heiß der Sommer,

Ließ die Wiesen, Felder, Wälder

Ausgetrocknet, dürr, verzweifelt

Hoffen auf der Wolken Nass,


Das nur spärlich, unzureichend,

Vielerorts gar ohn' ein Tröpfchen,

Die verblichenen, verdorrten

Fahlen Fluren schmachten ließ.


Doch es darbte auch die Seele,

Die, statt Labung, statt Erfrischung,

Sei's in Bayreuth, Aix und Salzburg,

Allseits fand ein Trockendock.


Welch ein Jammer, welch ein Elend!

Wie und wo soll satt sich trinken

Meine Seel', die, wie mein Körper,

Frischen Trank und Nahrung braucht?


Auch in der Provence herrscht Dürre:

Neben gurrenden Najaden

Kommen Ariadnen nieder

Auf dem Küchentisch in Aix!


Und im Trafohaus in Franken,

Ganz musikblau, rauchgeschwängert,

Gibt das Brautpaar sich den Abschied,

Weil die Braut zu viel gefragt.


Fräulein Salome in Salzburg

Darf nicht tanzen in der Reitschul'

Ihren Tanz der sieben Schleier,

der nun nicht mehr excitiert


All die geilen Spectatores!

Sie muss jetzt des Quaders harren,

Der ganz leicht, als wär's Gewölk nur,

Schwebend auf sie niedersinkt!


Hat er sie erdrückt, die Arme,

Liegt sie nun zerquetscht darnieder?

Nein, sie lebt und küsst am Ende

Des Propheten toten Mund!


Wie sich alles geistlos aufspielt!

Immer unverhüllter, frecher,

Feiert sich in den Theatern,

Wie im Leben, die Gewalt!


So im Festspielhaus zu Salzburg,

Wo man Mozarts letzte Oper,

Eingerahmt von unerträglich

Eitlem Großvatergeschwätz,


In ein Machwerk hat verwandelt,

das ganz ungeniert und albern

lässt Pamina und Tamino

Durch ein Stahlgewitter ziehn,


Dass sie dann, bar aller Skrupel,

Fühllos, kalt und abgehärtet,

Allen künft'gen Katastrophen

Können in die Augen sehn


Und nicht Tod noch Teufel fürchten,

Sondern, fromm und unterwürfig,

Gut dressiert und leer im Kopfe,

Des Sarastros Willen tun,


Der, ganz würdiger Diktator,

Seifig keift und schwadroniert und

Schlau beherrscht die neu geformte

krude Weltmenagerie.


Wirklich heiß war dieser Sommer,

Heiß und lang und karg und trocken. -

Wird der Herbst, die Zeit der Ernte,

Enden der Entbehrung Frist?


Wird er wieder frische Quellen

Sprudeln lassen, wird er wieder

Winde, die den Dust vertreiben,

Wehen lassen übers Land?


Wird er nicht nur süße Trauben,

Saft'ge Zwetschen, dicke Äpfel

Zeit'gen, die nach Eden ausschau'n

Und nach Eden schmecken auch,


Sondern wird er auch der Seele,

Auch dem Geist Erquickung schaffen,

Wird er Werke reifen lassen,

Die uns nähren und erfreu'n?


Sehnsuchtsvoll erwart' ich wieder,

Herr von Linprun, Ihre Hilfe,

Waren Sie doch schon so oft mir

Letzter Retter in der Not.


Alle Früchte ihrer Arbeit

Schmecken reif und süß und lauter,

Und verderben nie den Magen,

Schaffen immer Freude mir.


Geben Halt auch, wenn ich Einsicht

Nehme ins verwirrend helle

Dunkle rätselhafte Chaos,

Das den Weg ins Leben weist.


Klar, chaotisch, reich und strotzend,

Prunkvoll, prachtvoll, voller Anmut,

Voller Schwermut, Wehmut, Gleichmut:

Niemals Trost versagen sie;


Zeigen sie doch, dass das Leben,

Das so klein, so arm, so dürftig

Scheint, trotz aller seiner Armut

Groß und ungeheuer ist.


Nie vergeht es, dieses Leben,

Reich und arm und schlimm und lustvoll,

Alle Gegensätze halten

Ewig sich in Harmonie!


Solche Früchte, Herr von Linprun,

Herbstlich - herbstzeitlos in einem,

Werden, dessen bin ich sicher,

Sie in Bälde schicken mir.


Daher dank' ich schon im Voraus

Für das „Neue zur Chaotik“,

Das doch immer ist das alte

Schöne traute Menschheitsbild.



Georg Apfel im September 2018

 

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